Retro-Sammlungen leben vor vom Charme, das Alte neu zu erleben.
„Nostalgia is a place uncharted“ könnte entsprechend auch das Motto der Atari Collection 1 lauten. Zwar ist es beileibe nicht die erste Atari-Sammlung, die gab es 2001 auf PlayStation, Dreamcast, Game Boy Advance und Windows-PC. Es ist auch nicht die umfangreichste Collection, da hat Atari 50: The Anniversary Celebration ganz klar die Nase vorn.
Seinen Platz in der Videospielgeschichte nimmt die Atari Collection 1 ein, weil sie anno 2020 der Startschuss für die Evercade (Handheld) war. Die Retrokonsole von Blaze Entertainment lockte damals nämlich alle Retrofans mit dem Versprechen, alte Games-Klassiker auf Modulen (!) neu zu veröffentlichen.
Richtig gelesen: Statt – wie Sega Mega Drive Mini, Super Nintendo Mini und Co. – die Titel einfach auf den internen Speicher zu bannen, kamen die Retro-Games für Evercade auf Modulen und in schnieker Packung samt gedruckter Anleitung.
Um den Retrofans sogleich die Portmonees zu öffnen, prahlte Blaze anfangs mit der schieren Masse. Die ersten drei Retro-Collections im europäischen Evercade-Lieferumfang kamen nämlich auf zusammen 41 Titel. Beeindruckend.
Echte Retro-Games und drei Neuentwicklungen
Atari selbst steuerte 20 Spiele bei, die fast allesamt zwischen 1978 und 1990 das Licht der Videospielwelt erblickten.
Die Titel Aquaventure, Tempest und Yar’s Return stammen aus dem Jahr 2005, waren aber für die Original-Hardware konzipiert und programmiert.



Was Atari in seinen Gerätereihen mit den Nummern 2600 und 7800 verbaute, war damals gute Rechentechnik von der Stange, die heute aber wie ein Witz anmutet. So konnte das Atari 2600 lediglich zwei Sprites gleichzeitig darstellen. Die 7800 krankte an den damals unzureichenden 4 KB Arbeitsspeicher, für das Entwickler ihre Spielkonzepte massiv anpassen mussten. Die Hardware-Limitierungen von anno dazumal sind den Atari-Spielen auch arg anzumerken.
Masse statt Klasse
„Nostalgia is a place uncharted“ – was nicht heißt, dass dieser Ort paradiesisch wäre. Zwar finden sich unter den 20 Spielen klangvolle Namen wie Asteroids, Missile Command, Crystal Castles und Centipede. Die galten damals als absolute Arcade-Klassiker und fraßen in ihrer ursprünglichen Automatenfassung ein 50-Pfennig-Stück nach dem anderen.


Doch leider sind auf Atari Collection 1 nicht die Arcade-Originale zu finden, sondern die Heimkonsolen-Portierungen. Für die mussten die Entwickler Grafiken vereinfachen, Soundeffekte streichen und die Steuerung auf den miesen Atari-Joystick anpassen.


Das Spielerlebnis reicht an die Originale nicht heran und verführt schon nach wenigen Minuten zum Abschalten.
Willst du die Originale zocken, solltest du zum Evercade-Modul Arcade #05 – Atari Arcade 1 in der lilafarbenen Verpackung greifen.
Fußnoten in der Videospielgeschichte
Dieses „Ich probiere es mal aus, wie kacke kann es schon sein?“-Gefühl geht größtenteils mit einer herben Enttäuschung einher. Vom 8-Bit-Zauber der Heimkonsolenmacht Atari bleibt nur ein matter Abglanz. Adventure? Ein Zelda-Urahn, der nur wegen eines Easter Eggs in Videospielchroniken auftaucht.

Double Dunk? Interessant der Umgehung von Hardware-Limitierungen wegen. Canyon Bomber? Wozu ein Joystick, wenn man das ganze Spiel mit nur einem (!) Knopf zocken kann?

Für mich persönlich war der Nostalgie-Trip ernüchternd. Die historische Bedeutung der meisten Titel kann ich anerkennen, aber gut finden muss ich es ja nun nicht aus Prinzip. In Ermangelung von Bonusmaterial hatte ich auch gar keine Lust, mich näher mit den Portierungen zu beschäftigen, egal welche rosarote Retro-Brille ich aufsetzte.



Die Highlights sind rar
Ein paar Highlights fand ich dann aber doch. Alien Brigade fürs Atari 7800 ist ein erstaunlich frisch wirkender Rail Shooter mit knackigem Schwierigkeitsgrad und netter 8-Bit-Grafik. Die Steuerung funktioniert trotz des Lightgun-affinen Genres mit dem Controller gut, weshalb dieser Titel einen gewissen Wiederspielwert besitzt – den Atari damals hätte steigern können, gäbe es einen Zwei-Spieler-Modus.

Gänzlich überzeugt hat mich Ninja Golf fürs Atari 7800. Der Titel fasst das Spielprinzip perfekt zusammen, dennoch haben die Entwickler eine Lore gebaut. Der zufolge hat der namenlose Held zehn Jahre lang trainiert, um Ninja zu werden. Als die Ausbildung sich dem Ende neigt, teilt der Meister des Namenlosen mit, dass dieser eine 9-Loch-Partie Ninja Golf überstehen müsse.
Die beginnt mit dem Abschlag des Golfballs, woraufhin der Spieler dem Ball hinterher rennt und auf dem Weg andere Ninja und mit Dreck werfende Maulwürfe zu Staub tritt oder schlägt. Am Ende eines jeden Golfkurses wartet ein feuerspeiender Drache, den der Held mit Wurfsternen ausschalten muss. Ja, das klingt bekloppt und ist es auch – hat aber einen Spielwitz, von dem sich andere Produktionen heutzutage eine Scheibe abschneiden können.




Ninja Golf jedenfalls gelingt es immer wieder, für die ein oder andere Partie den Evercade-Handheld anzuwerfen.
Die Beigaben: Aller Anfang ist ernüchternd
Ein paar Worte noch zum Lieferumfang. Wie jedes Evercade-Modul kommt die Atari Collection 1 in einer eigenen Verpackung und mit Anleitung, die in diesem Fall 20 Seiten stark ist. In dieser findest du die grundlegende Steuerung und ein paar Worte zum jeweiligen Titel samt eines Steckbriefes. Neue Erkenntnisse gewinnst du dadurch nicht, hast aber immerhin was zum Blättern.
An die Qualität späterer Evercade-Manuals kommt das Druckwerk nicht heran und Easter Eggs wie die Studentenausweise der Magier-Akademie in #25 – Morphcat Games Collection 1 vermisst man schmerzlich. Aber: Das hier war das Evercade-Debüt und so sollte man das auch werten.
Fazit: Für Sammelwütige und Videospielhistoriker
Für die Atari Collection 1 hätte ich mir keine Evercade gekauft. So ehrlich bin ich. Dass die Cartridge in meiner Sammlung steht, ist dem geschuldet, dass das Modul dem Original-Handheld beiliegt. Ob ich es regulär gekauft hätte? Unwahrscheinlich. Die meisten Titel sind nicht nur technisch schrecklich gealtert. Sie machen schlicht keinen Spaß.
Evercade setzte hier auf Masse statt Klasse, was Videospiel-Historiker freut, die meisten Gamer aber ratlos zurücklassen dürfte. Dabei sind viele Titel dem Namen nach echte Klassiker – nur eben nicht auf den Atari-Heimkonsolen, sondern in ihrer Arcade-Originalform. Solltest du also Interesse daran haben, Ataris Geschichte auf der Evercade zu erleben, raten wir dir zu Arcade #04 – Atari Arcade 1. Eine Kaufempfehlung gibt es nur für Evercade-Fullset-Enthusiasten.